Formu­lie­rungen in Testa­menten beschäftigen die Gerichte häufig. Immer wieder müssen sie ausgelegt werden, insbe­sondere, wenn der oder die Testie­renden vorher keinen Rechtsrat eingeholt haben. Bei gemein­schaft­lichen Ehegat­ten­tes­ta­menten stellt sich immer wieder die Frage, inwieweit sich die Eheleute binden wollten. Darf der Überle­bende sich in Bezug auf die Frage, wer nach dem Tode beider Ehegatten erben soll, noch ument­scheiden? Die Arbeits­ge­mein­schaft Erbrecht des Deutschen Anwalt­vereins (DAV) infor­miert über eine Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts (OLG) Bamberg.

In einem gemeinschaftlichen Testament aus dem Jahr 1992 setzen sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben und ihre vier Kinder als Schlusserben ein. Sie schreiben unter anderem „Das heißt, der überlebende Ehegatte ist Alleinerbe und hat die Verfügungsgewalt über das gemeinsame Vermögen.“

Danach verfassen die Eheleute 2010 gemeinsam noch eine Verfügung zugunsten eines Sohnes: Dieser soll „das Anwesen und dessen Verwaltung übernehmen. Er hat am meisten dafür getan. Als Wohnung sollen unsere Wohnräume ihm dienen.“ Diese Anordnung greift jedoch nicht, weil sie nur maschi­nen­schriftlich verfasst ist.

Die Ehefrau stirbt 2014, der Ehemann 2015. Eine gute Woche vor seinem Tod lässt der Ehemann ein notari­elles Testament errichten, in dem er unter Widerruf der Verfügungen des Testa­ments von 1992 hinsichtlich der Schlus­ser­ben­ein­setzung den bereits vorher bedachten Sohn zum Allei­nerben einsetzt.

Die Frage ist nun, ob das neue notarielle Testament vom Ehemann zugunsten des einen Sohnes gilt oder das gemein­schaft­liche Ehegat­ten­tes­tament von 1992 gleich­be­rechtigt zugunsten aller Kinder. Dies hängt davon ab, ob die Ehegatten bei der Errichtung des gemein­samen Testa­mentes wollten, dass dies durch den überle­benden Ehegatten alleine nicht mehr abgeändert werden darf.

Berliner Testament: Spezielle gesetzliche Auslegungsregel

Die Formu­lierung „hat die Verfügungs­gewalt über das gemeinsame Vermögen“ ist daher nach dem überein­stim­menden Willen der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testa­ment­s­er­richtung auszu­legen. Sofern ein solches Testament keine klaren und eindeu­tigen Aussagen enthält, muss diese Frage nach den allge­meinen Ausle­gungs­grundsätzen ermittelt werden.

Lässt sich der Wille damit nicht zuverlässig feststellen, so kommt bei der vorlie­genden Kon-stel­lation eines sogenannten Berliner Testa­ments, in dem sich die Eheleute gegen­seitig zum Allei­nerben und ihre gemein­samen Kinder als gemeinsame Schlus­serben zu gleichen Teilen einge­setzt hatten, eine spezielle gesetz­liche Ausle­gungs­regel zum Zuge. Demnach sind im Zweifel die gegen­sei­tigen Erbein­set­zungen der Ehegatten jeweils auch im Verhältnis zur Schlus­ser­ben­ein­setzung des anderen Ehegatten als bindend anzusehen.

Das OLG Bamberg sieht in der Bestimmung im gemein­schaft­lichen Testament, wonach der überle­bende Ehegatte „die Verfügungs­gewalt über das gemeinsame Vermögen“ haben sollte, schon nach dem Wortlaut der betref­fenden Anordnung lediglich die Bedeutung und Funktion eines klarstel­lenden Zusatzes, wonach der überle­bende Ehegatte tatsächlich Vollerbe werden sollte.

Keine Rückschlüsse auf Wünsche der Ehegatten möglich

Nach Ansicht des Gerichts ist nicht zu erkennen, dass die Vorstel­lungen der Ehefrau entgegen aller Lebens­er­fahrung nicht von dem Wunsch bestimmt gewesen sein könnte, das gemeinsame Vermögen allen vier Kindern zu gleichen Teilen zukommen zu lassen. Im Gegenteil: Die im Jahr 2010 gewollte testa­men­ta­rische Änderung des ursprünglichen Testa­mentes werde ausdrücklich mit einer zwischen­zeit­lichen Änderung der Verhältnisse, nämlich damit begründet, dass der bedachte Sohn für „das Anwesen und dessen Verwaltung … am meisten getan (habe)“.

Diese einlei­tende Klarstellung könne somit dem Gericht zufolge nur dahin verstanden werden, dass der beabsich­tigten Zuwendung an den Sohn ein Motiva­ti­ons­wechsel infolge einer – in den zurücklie­genden 18 Jahren einge­tre­tenen – neuen Entwicklung zugrunde gelegen hatte. Aus diesem Grund können keine tragfähigen Rückschlüsse auf die Erwar­tungs­haltung und Wünsche der testie­renden Ehegatten zur Zeit der Testa­ment­s­er­richtung im Frühsommer 1992 gezogen werden.

Gesetz­liche Vermutung greift: Ehegat­ten­tes­tament kann nicht geändert werden

Somit greift die gesetz­liche Vermutung. Diese geht von der gewöhnlichen Lebens­er­fahrung über die Vorstel­lungen und Absichten der Ehegatten in solchen Fällen aus. Danach tun Eheleute, die ihr gemein­sames Vermögen letztlich an ihre eigenen – gemein­samen – Kinder weiter­geben möchten, jedoch mit Rücksicht auf die Alters­ver­sorgung des anderen Ehegatten ihre Abkömmlinge für den Fall ihres eigenen Vorversterbens enterben, dies jeweils in einer gewissen Erwartung. Sie erwarten offen­kundig, dass aufgrund der gleich­zei­tigen Schlus­ser­ben­ein­setzung des anderen Teiles das gemeinsame Vermögen mit dem Tode des Ehegatten auf ihre Kinder übergehen wird.

Dieses Vertrauen der testie­renden Eheleute wird unter anderem dadurch geschützt, dass ein Widerruf nach dem Tod des Erstverster­benden grundsätzlich ausge­schlossen ist. Der nachverster­bende Ehemann konnte daher den einen Sohn nicht durch ein weiteres Testament nach dem Tod der Ehefrau besonders bevor­zugen, auch wenn diese dies womöglich seit 2010 wollte. Die vier Kinder wurden zu gleichen Teilen Erben.

Oberlan­des­ge­richt Bamberg am 6. November 2015 (AZ: 4 W 105/15)

Quelle: www.dav-erbrecht.de